Weihnachtsgeschichten


Der Seelenbaum

Welt draußen, einsam im öden Raum
steht ein uralter Weidenbaum
noch aus den Heidenzeiten wohl,
verknorrt und verrunzelt, gespalten und hohl.
Keiner schneidet ihn, keiner wagt
vorüberzugehn, wenn's nicht mehr tagt,
kein Vogel singt ihm im dürren Geäst,
raschelnd nur spukt drin der Ost und West;
doch wenn am Abend die Schatten düstern,
hörst du's wie Sumsen darin und Flüstern.

Und nahst du der Weide um Mitternacht,
du siehst sie von grauen Kindlein bewacht.
Auf allen Ästen hocken sie dicht,
lispeln und wispeln, und rühren sich nicht.
Das sind die Seelchen, die weit und breit
sterben gemußt, eh' die Tauf' sie geweiht:
im Särglein liegt die kleine Leich',
nicht darf das Seelchen ins Himmelreich.

Und immer neue - siehst es du? -
in leisem Fluge huschen dazu.
Da sitzen sie nun das ganze Jahr
wie eine verschlafene Käuzchenschar.
Doch Weihnachts, wenn der Schnee rings liegt
und über die Länder das Christkindlein fliegt,
dann regt sich's, pludert sich's, plaudert, lacht,
ei, sind unsre Käuzchen das aufgewacht!
Sie lugen aus, wer sieht was, wer?
Ja freilich kommt das Christkind her!
Mit seinem helllichten Himmelsschein
fliegt's mitten zwischen sie hinein:
"Ihr kleines Volk, nun bin ich da -
glaubt ihr an mich?" Sie rufen: "Ja!"
Da nickt's mit seinem lieben Gesicht
und herzt die Armen und ziert sich nicht.
Dann klatscht's in die Hände, schlingt den Arm
ums nächste - aufwärts schwirrt der Schwarm
ihm nach und hoch ob Wald und Wies'
ganz geraden Wegs ins Paradies.

Ferdinand Avenarius


Weihnachtssperlinge

Vor meinem Fenster die kahlen Buchen
sind über und über mit Schnee behangen.
Die Vögel, die da im Sommer sangen,
wo die wohl jetzt ihr Futter suchen?
Im fernen Süden sitzen sie warm
und wissen nichts von Hunger und Harm.

Ihre ärmlichen Vettern, sie Spatzen und Krähen,
müssen sich durch den Winter schlagen,
müssen oft mit leerem Magen
vergebens nach einem Frühstück spähen.
Da kommen sie an mein Fensterbrett:
Gesegnete Mahlzeit, wie sitzt du im Fett!

Eine unverschämte Bemerkung!
Aber was will man von Spatzen verlangen,
sind nie in die Anstandsstunde gegangen,
und Not gibt ihrer Frechheit Stärkung.
Und schließlich, hungern ist nicht gesund
und für manches einen Milderungsgrund.

Da laß ich's dann gelten und kann mich gar freuen,
wenn meine beiden Mädels leise
- leise ist nicht ihre Weise -
den kleinen Bettlern Brotbröcklein streuen.
Ich belausche sie da gern, es ist ihnen mehr
als ein Spaß, es kommt vom Herzen her.

Ja, sie geben beide gerne,
gütige Hände sind ihnen eigen,
doch will ich mich nicht im Lob versteigen,
und daß ich mich nicht von der Wahrheit entferne:
untereinander gönnt oft keins
dem andern ein größeres Stück als sein.

Oft sind die auch selbst wie die Spatzen und Raben,
das Brüderchen ist dann im Bund der Dritte,
da zwitschern sie auch ihr bitte! Bitte!
Reißen den Hals auf und wallen was haben.
Sommer und Winters, Winters zumeist
und gar um Advent herum werden sie dreist.

Dann fangen sie an zu bitten und betteln:
Papa, zu Weihnacht, du hast mir's versprochen,
ich möchte einen Herd, so richtig zum Kochen.
Und ich ein Zweirad. Auf Weihnachtswunschzetteln
wachsen die stolzesten Träume sich aus.
Knecht Ruprecht schleppt das schon alles ins Haus.

Und morgens, da steht von den zierlichsten Schuhen
je einer, ganz heimlich hingestellt,
an dem allersichtbarsten Platz der Welt.
Die Schelme können des Nachts kaum ruhen:
Ob wohl der Weihnachtsmann sie entdeckt?
Ob er wohl was in den Schuh uns steckt?

Der Weihnachtsmann! Er muß ja bald kommen.
Schon stapft er durch die beschneiten Felder,
hat vom Rande der weißen Wälder
ein grünes Tännlein mitgenommen.
Von unseren Buchen die Spatzen und Kräh'n
können ihn sicher schon erspähn.

Gewiß, sie haben den guten Alten
schon gesehn. Sie lärmen und kreischen,
als wollten sie doppelte Brocken erheischen.
Und hätten sie Schühlein vom Herrgott erhalten,
ich fände sie morgens alle, ich wett'
ein zierliches Reih' auf dem Fensterbrett.

Das war eine Wonne für meine Kleinen!
Die gütigen Hände würden sich regen
und jedem was in sein Schühlein legen,
ein Bröckchen, ein Krümchen, vergäßen nicht einen.
Und ihr rosiges Kindergesicht
strahlte dabei wie Weihnachtslicht.

Ich aber will doch morgen sehen,
- wir haben ja schon Advent geschrieben -
ob es beim alten Brauch geblieben
und wohl irgendwo Schühlein stehen.
Rechte Spatzenpantoffel mögen es sein,
und geht gewiß nicht viel hinein.

Gustav Falke


Der gleitende Purpur

"Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!"
schallt im Münsterchor der Psalm der Knaben.
Kaiser Otto lauscht der Mette,
Diener hinter sich mit Spend' und Gaben.

Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!
Heute, da die Himmel niederschweben,
wird dem Elend und der Blöße
Mäntel er und warme Röcke geben.

Hundert Bettler stehn erwartend;
einer hält des Kaisers Knie umfangen
mit den wundgeriebenen Armen,
dran zerriss'ner Fesseln Enden hangen.

"Schalk! Was zerrst du mir am Purpur?
Harr' und bete! Kennst du mich als Kargen?"
Doch der Bettler hält den Mantel
fest und klammert: "Kennst du mich, den Argen?

Du Gesalbter und Erlauchter!
Kennst du mich? Du hast mit mir gelegen,
mit dem Siechen, mit den Wunden,
unter eines Mutterherzens Schlägen.

Aus demselben Wollentuche
schnitt man uns die Kappen und die Kleider!
Aus dem selben Palmenbusche
sang das frischen Jugendantlitz beider!

Heinz, wo bist du? Heinz, wo bleibst du?
Hast zum Spielen du mich oft gerufen
durch die Säle, durch die Gänge,
auf und ab der Wendeltreppe Stufen.

Wehe mir! Da du dich kröntest,
hat des Neides Natter mich gebissen!
Mit dem Lügengeist im Bunde
hab ich dieses deutsche Reich zerrissen!

Als den ungetreuen Bruder
und Verräter hast du mich erfunden!
Du ergrimmtest und du warfest
in die Kerkertiefe mich gebunden!

In der Tiefe meines Kerkers
hab ich ohne Mantel heut gefroren.
Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!
Heute wird der Welt das Heil geboren!"

Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!
Hundert Bettler strecken jetzt die Hände:
"Gib uns Mäntel! Gib uns Röcke!
Sei barmherzig! Gib uns Spende!"

Eine Spange löst der Kaiser
sacht. Sein Purpur geleitet, gleitet, gleitet
über seinen sünd'gen Bruder
und der erste Bettler steht bekleidet.

Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!
Jubelt Erd' und Himmelreich mit Schallen.
Glorie! Glorie! Friede! Freude!
Und am Menschenkind ein Wohlgefallen!

Conrad Ferdinand Meyer


Die Legende vom Tannenbaum

In der Bergpredigt, wie bei Matthäus zu lesen,
ist auch von Bäumen die Rede gewesen.
Der Heiland hatte gesagt, daß Feigen
nicht reifen könnten auf Distelzweigen,
daß Trauben nicht wüchsen am Dornenhange,
und daß der Baum, der nicht Früchte trage,
zu gar nichts wert erscheine auf Erden,
als abgehau'n und verbrannt zu werden.

Und als er geendet, da ist schon bald
ein Streiten entstanden im nahen Wald.
Die Disteln, welche die Rede gehört,
waren über die Maßen empört
und haben so recht überlegen gesagt:
"Wir haben noch immer den Eseln behagt!"
Die Dornen reckten die scharfen Spitzen
und sagten: "Das lassen wir nicht auf uns sitzen!"
Die gelben, aufgedunsenen Feigen
zeigten ein blasses blasiertes Schweigen,
und die Trauben blähten sich gar nicht schlecht
und knarrten geschwollen: "So ist es recht!"

Nur ein zierlicher Tannenbaum
stand verschüchtert, rührte sich kaum,
horchte nicht auf das Rühmen und Klagen,
hat sich still und bescheiden betragen
und dachte und dachte in einem fort
an des Heilandes richtende Wort.
Er fühlte sich ganz besonders getroffen;
er hatte kein Recht, auf Gnade zu hoffen;
die erste Art mußte ihn zerschlagen;
er wußte nur Tannenzapfen zu tragen;
Früchte hatte er nie gebracht,
das hat ihn niedergeschlagen gemacht.
Als sich nun aber die Sonne versteckt
und tiefes Dunkel die Erde deckt,
und, ermüdet vom Reden und Klagen,
die anderen Bäume im Schlummer lagen,
wollte er nichts von Schlummer wissen,
hat die Wurzeln aus dem Erdreich gerissen,
und unbemerkt in stiller Nacht
hat er sich still auf den Weg gemacht,
um nach dem strengen Heiland zu gehen
und milderes Urteil sich zu erflehen.

Und als er nach mühseligen Stunden
endlich den lang Gesuchten gefunden
und ihm sein Leid recht herzlich geklagt,
da hat der Heiland lächelnd gesagt:
"Wisse, daß seit Beginn der Welt
ein jeglicher Fluch seinen Segen enthält,
und daß in jeglichem Segensspruch
verborgen liegt ein heimlicher Fluch!
Den Feigen brachte nur Fluch mein Segen,
weil sie jetzt sündigen Hochmut hegen;
die Trauben haben mir nicht gedankt,
die haben sich nur mit den Dornen gezankt;
die Disteln ließen sich nicht belehren,
die konnten den Fluch nicht zum Segen kehren;
du aber hast dich besser bedacht!
Du hast aus dem Fluch einen Segen gemacht!
Und dein Bittgang sei nicht umsonst gewagt!
Zwar - was gesagt ist, da bleibt gesagt!
Dein Schicksal ist jetzt nicht mehr zu trennen
vom Abhau'n und im-Ofen-verbrennen;
aber: Ich will dich erheben und ehren,
ich will einen rühmlichen Tod dir bescheren!
Dich soll kein Winterschlaf traurig umschließen!
Ein doppeltes Leben sollst du genießen!
Und auf deinen zierlichen Zweigen
sollen die herrlichsten Früchte sich zeigen,
soll man Lichter und Zierrat schau'n!
Freilich - erst wenn du abgehau'n!
Sei wie ein Held, der für andere leidet,
der in blühender Jugend strahlend verscheidet!
Damit dein Leben, das kurz, doch reiche,
meinem irdischen Wandel gleiche!
Du sollst ein Bote des Friedens sein!
Du sollst glänzen wie ein Heiligenschein!
Den Kindern sollst du Freude verkünden!
Den Sündern wecken aus seinen Sünden!
Gesang und Jubel soll dich umtönen!
Mein liebstes Fest sollst du lieblich verschönen!
So bist du von allen Bäumen hienieden
der gesegnetste! - Zieh hin in Frieden!"

Friedrich Güll


Zum Weihnachtsbaum

Friede war im Wald und jeder Baum beglückt
durch schöne reife Frucht, womit der Herbst beschmückt
die Äste all, daß jeder Zweig sich bieget
bis hoch hinauf, wo leis die Krone wieget.
Doch leider, wo's zum Segen will gedeih'n,
da findet sich auch gern der Hochmut ein
und selbst der Neid. Und jeder wollt' sich prahlen,
daß seine Frucht die schönste sei von allen,
und jeder hing an seine längsten Äste
als stolzes Aushängeschild der Früchte beste.
Es war ein herrlich Wogen bis zur Spitze,
ein Wetten, wer das beste wohl besitze. -

Nur eines litt im Wald viel Weh und Gram
und barg sich ins Gesträuch voll tiefer Scham.
Ein Tannenbäumchen war's, gar schmächtig, schlank,
wohl aller Früchte, auch der ärmsten, blank,
und während andre stolz im vollen Prangen,
hatt' es an seinem Stamm nur Nadeln hangen,
nur dunkelgrüne Nadeln, scharf und spitz;
sie stachen es, doch schärfer stach der Witz
der anderen und ihr Hohn, gar schal und widrig
dem schlichten Bäumchen, weil's so arm und niedrig.
Es flüsterte der Wald sich in die Ohren
vom Taugenichts, der da umsonst geboren,
und warf ihm boshaft gar zu Spott und Schmach
die ersten gelben, dürren Blätter nach.
Das schnitt dem Bäumchen tief ins junge Herz,
es wollte schier vergeh'n in Leid und Schmerz
und weinte, tief bedrängt vom Weh, dem schweren,
das Harz heraus, die bittersten der Zähren.
So duldete das Bäumchen still und fromm.

Da zog hernieder durch den nächsten Dom
ein Engel aus des Himmels heiligen Hainen,
der sah den armen Dulder schmerzlich weinen.
Er ließ sich erdenwärts vom weiten Raum,
zur armen Tanne sprechen: "Liebster Baum!
Du warst bisher verachtet und verflucht,
doch tragen wirst du noch die schönste Frucht,
die je ein Baum getragen hier auf Erden,
du sollst der Baum der höchsten Freude werden."

Wie wurde jetzt der Himmel trüb und grau!
Es blies ein kalter Wind auf Heid' und Au',
er heulte durch den Wald voll wilder Hast
und rüttelte die letzten Frucht vom Ast.
O, bald war jeder Baum, der einst geprahlt,
der Frucht und Bätter bar, gar kahl und alt,
es fielen Flocken, und es krächzten Raben,
und sieh, der stolze Wald war wie begraben.
Nur jenes Bäumchen steht noch frisch und frei
und grünt und flüstert sanft wie einst im Mai. -

Und als die heilige Nacht gekommen war,
da schwebte durch den Wald die Engelschar
zum Bäumchen zart und trug es durch die Nacht
in festlich aufgegangener Strahlenpracht.

Peter Rosegger


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