Melancholische Weihnachtsgedichte
Am Tag der Weihnacht, wo den andern Kindern
Der Christbaum freudenreich ward aufgerichtet,
Begruben sie den armen kleinen Leo.
Nasskalte Winde wehten, rieselnd fiel
Schneeregen, als der kleine Leichenzug
Sich mit dem Kindersarge durch die Straßen
Bewegte, rings umdrängt von dem Gewimmel
Der Leute, die, mit reicher Weihnachtsfracht
Beladen, frohgeschäftig heimwärts eilten.
Als angelangt das trauernde Geleit
Im Friedhof, legten in die Grube sie
Den armen Leo, schütteten das Grab
Mit Erde zu, und gingen fort, und ließen
Allein den Kleinen in dem kalten Bettchen.
Es dunkelte. Die Flocken fielen dichter,
Und aufgehäuft war überm frischen Grab
Des Kindes bald ein Hügel weißen Schnees.
Kalt war und schauerlich die Lagerstätte
Des kleinen Leo. Aber um so tiefer
Schlief er, und um so schöner war sein Traum.
Denn stets, je rauer ist die Wirklichkeit,
Um desto schöner ist der Traum, und Kinder,
Die man begräbt am heil'gen Weihnachtsabend,
Die träumen in der gnadenreichen Nacht
Im Grab vom Christkind und vom Himmelreich.
So fand denn auch das Knäblein Leo sich
Entrückt hoch in den gold'nen Himmelssaal.
Von Glanz umgeben, staunt er, denkt: "So schön
Sah ich noch nie den Christbaum aufgerichtet,
Wie diesmal!" - Das Christkind kommt heran
Und nimmt ihn freundlich bei der Hand und führt
Ihn überall umher und zeigt ihm all
Des Himmels Herrlichkeiten, gibt zu kosten
Ihm wunderbare Süßigkeiten, beut
Ihm hundert schöne, goldne Geschenke,
Und goldenes Gewand, und gold'ne Flügel.
Die Engel plaudern mit ihm, reichen ihm
Zum Spielen kleine Sterne und den Mond,
Den er so oft vergebens sich gewünscht,
Und schaukeln ihn auf einer Schaukel, die
Von einem Himmelsrand zum andern fliegt,
So dass er hell aufjauchzt in kin'scher Freude.
Dann singen sie ihm himmlisch holde Weisen,
Und tanzen mit ihm um des Himmels Tür.
Zuletzt doch wird der kleine Leo müd',
Es fallen trunken ihm die Äuglein zu
Allmählich unter all den Wunderdingen,
Und nichts mehr will er jetzt als ruhen, schlafen.
Da bringt das Christkind ihn zu Bette, breitet
Ihm weiche Kissen unter, deckt ihn sanft
Mit einer lilienweißen Hülle zu.
Und jetzo schläft der kleine Leo wie
Nach Mitternacht die andern Kinder auch,
Wenn sie den Christfestjubel durchgekostet.
Sag nicht, die haben Wirkliches genossen
Und Leo nur geträumt. Sie träumten alle!
Sie träumten jenen alten, gold'nen Traum
Von Glück, das ohne Leid - von Glück, das eins
Mit Himmelslust, mit himmlisch holder Rast.
Nicht ganz ein leerer Wahn ist dieser Traum!
Und niemand träumt ihn schöner als die Kinder,
Und niemand träumt ihn süßer als die Toten.
Robert Hamerling
Weihnachtsfest ist wiederkommen,
Wo so oft beim Orgelklang
Ich mit ihr bei andern Frommen
Sonst aus einem Buche sang.
Glaubet nicht, dass sie gestorben,
Auch nicht, dass mein Paradies,
Zeit und Welt mir hat verdorben,
Als mich jedes Glück verließ.
Weihnachtsbaum und helle Kerzen
Und darunter ich und sie;
Dieses Bild in meinem Herzen,
Das vergeht, verlöschet nie!
Julius Mosen
Durch die Fenster seh ich's flimmern,
Grün und Gold und Kerzenschein,
Jauchzend hör' ich durch die Laden
Helle Kinderstimmen schrein.
Schmetternde Posaunen schallen
Von dem Kirchturme herab:
Lobt den Vater in der Höhe,
Der der Welt das Kindlein gab!
Herz, mein Herz, wie bist du selig?
Herz, mein Herz, und so allein?
Unsre Gaben, unsre Wünsche,
Dürfen wir sie keinem weihn?
Eine weiß ich wohl zu finden,
der ich vieles gönnen mag;
Offen steht mir ihre Pforte,
Und es kennt mich ihr Gemach.
Aber in dem stillen Hause
Brennt kein festlich helles Licht,
Und im schwarzen Wochenkleide
Sitzt sie da und freut sich nicht.
Ach, ihr ist er nicht geboren,
Der in dieser sel'gen Nacht
Freud' und Fried und Wohlgefallen
Hat zu uns herab gebracht.
Seine Liebe, seine Leiden
Dringen nicht zu ihr hinein!
Über ihre zarte Seele
Herrschet ein Gesetz von Stein.
Wilhelm Müller
Alte Zeit, schöne Zeit
Steig empor im Nebelflor;
Lust und Ach werden wach,
Früh'rer Tage Seligkeit
Fühl' ich wieder wie zuvor.
Freudenvoll einst erscholl
Weihnachtssang, dem ich lang
Nicht gelauscht, der verrauscht
Schien im Strom der Zeit,
wieder tönt es heut.
Stille Nacht, heil'ge Nacht,
Nur Maria betend wach,
Engelmund tut es kund:
Gottes Sohn stieg vom Thron,
Ward der Menschheit dargebracht.
Heil'ge Nacht, lichtentfacht
Stand der Baum im Kerzenschein,
Hoch voll Lust schlug die Brust,
Wenn der Sang still verklang,
Und die Mutter rief: "Herein!"
Alte Zeit, schöne Zeit,
Keine Mutter schmückt den Baum
Heute mehr! Wie ein Traum,
wie ein Stern, verlöschend fern,
Grüßt dein Bild, o Jugendzeit!
Günther Walling
Am heil'gen Christtagabend
Den Kindern man beschert,
Da ist denn eitel Freude
An Wägelchen und Pferd.
Am heil'gen Christtagabend
Obgleich ich längst kein Kind,
Hat man mir auch bescheret,
Gut wie die Menschen sind.
Man gab mir einen Kummer,
Man gab mir eine Qual,
Die tief am Leben naget,
Das längst schon geht zu Tal.
Man gab mir die Gewissheit
Mein Streben sei verkannt,
Und ich ein armer Fremdling
In meinem Vaterland.
Man hat beim nah'nden Winter
Genommen mir das Nest,
Und hieß mich, weiter wandern
Für meines Lebens Rest.
Doch ist's der Lauf der Zeiten;
Ein Trost nur stellt sich dar:
Bin ich auch nichts geworden,
Ich blieb doch, der ich war.
Franz Grillparzer
Stehst du freundlich wieder offen,
Meiner Kindheit Paradies,
Das ich unter frohem Hoffen,
In der Jugend Mut verließ? -
Haben Zauberlandes Räume
Hell sich wieder aufgetan,
Schaukeln meine alten Träume
Wieder mich in süßem Wahn?
Gießt der Kerzen muntrer Schimmer
Licht durch meine Lebensnacht,
In der schon seit Jahren nimmer
Ruhesterne mir gelacht? -
Wär ich niemals doch geschieden
Aus dem engbeschränkten Reich;
Dann wär meiner Seele Frieden
Noch wie damals ewig gleich.
Ach, nun scheinen Weihnachtskerzen
Wie der Fackel düstrer Zug,
Wenn zum Grab gebrochne Herzen
Auf der Bahre hin man trug. -
Oder wie die Abendröte
Noch den Horizont bemalt,
Wenn sich schon die Nacht erhöhte,
Längst nicht mehr die Sonne strahlt.
Abglanz des verlornen Glückes
Find ich, wo sonst Glückes Spur:
Kenne Gunst des Augenblickes
Diesen bleichen Schatten nur.
Matt versanken kleine Freuden
Vor der Liebe Sonnenglanz. -
Nach der Liebe steht das Scheiden,
Es zerriss mir meinen Kranz.
Flattern auch noch kleine Blüten
Hier und dort mir freundlich zu,
Nehm ich sie, wie sie sich bieten;
Doch sie geben keine Ruh.
Leuchtet nur ihr Weihnachtskerzen,
Durch die Winternacht so mild,
Also strahlt durch Gram und Schmerzen
Meiner einz'gen Liebe Bild.
Ida Gräfin Hahn-Hahn
An der Ecke steht ein ganzer Schwarm
Von jungen mit Weihnachtsgaben,
um für Hampelmänner, Waldteufel, Knarr'n
mitleidige Käufer zu haben.
Die arme kleine Menschenbrut
Muss stehn und Geld verdienen,
und die Menge eilt und sieht es nicht,
das Elend der jungen Mienen.
Der Sturmwind weht so bitter kalt,
trüb flimmert das Gaslicht und trüber.
Gleichgültig wälzt sich die Menschenflut
an jenen Armen vorüber.
Wenn abends um acht ich vorüber kam,
lief einer aus dem Haufen
mit Knarren neben mir her und bat,
ihm doch eine abzukaufen.
So gab ich ihm schon acht Tage lang
den Nickel und manchen mehr.
Der arme Junge er war so blass
und hustete so sehr.
Jedoch am Tage vorm heilig Abend,
da sucht ich vergebens umher,
da fand ich die flehenden, kranken Augen
des blassen Knaben nicht mehr.
Ludwig Jacobowski
Und war mein Leben dunkel,
Ihre Augen leuchten hell.
Und war ich matt vom Sterben,
Ihre Füßlein wanderten schnell
Und war ich krank und war ich arm,
So sprach ihr Stimmlein liebeswarm:
"Lieb Mütterlein, denk nicht daran,
Es kommt wohl bald der Weihnachtsmann!"
Wohl kam ein Mann geschritten,
Doch trug er schwarzes Gewand,
Er hielt kein Tannenbäumlein,
Hielt die Sichel in seiner Hand.
Schnitt ab mein Blümlein, nahm es fort
Und barg's an stillem, kühlen Ort.
Was fang ich arme Mutter an?
Und balde kommt der Weihnachtsmann.
Hedwig Kiesekamp
Am Weihnachtsfest folgt' ich der alten Sitte,
Zum Friedhof lenkte ich die Schritte,
Meinem Liebling, von des Lebens Müh'
Dahingerafft so jung, so früh,
Hab' ein Tannenzweiglein ich gebracht,
Und dabei anderer Weihnacht gedacht,
Da unter des Lichtbaumes Prangen
Voll Dankbarkeit er mich umfangen.
Und als ich so stand an seinem Grabe,
Von ungefähr gefragt ich habe:
Wem doch am wohlsten wär' von uns beiden,
Ob er, der entflohen der Menschen Leiden
Und so ruhig schläft in der Erde Schoß,
Nicht errungen hätte das bessere Los,
Statt in des Lebens harten Kämpfen
Die eigene Leidenschaft zu dämpfen,
Und unter der Menschen Getriebe und Hast
Nur selten finden zur Einkehr Rast ...
Da war's, als säh' er mich sinnend an,
Wie früher er so oft getan,
Heut' wollt er mich mahnen meiner Pflicht:
Geh' deinen Weg grad, treu und schlicht,
Und was das Leben bringt, das trage,
Im Kampf sieh nicht gleich schlimme Plage.
Die Ruhe findest du noch beizeiten,
Wenn auch dich sie lassen heruntergeleiten!
- So schied vom Grab ich, nicht trüb und bang,
Zu neuen Kampf mit frischem Drang
Für Menschenwohl und Menschenwert!
Das hatte - mein Junge mir beschert.
Ludwig Müffelmann
Welch lustiger Wald um das hohe Schloss
hat sich zusammen gefunden,
ein grünes, bewegliches Nadelgehölz,
von seiner Wurzel gebunden!
Anstatt der warmen Sonne scheint
das Rauschgold durch die Wipfel;
hier backt man Kuchen, dort brät man Wurst,
das Räuchlein zieht um die Gipfel.
Es ist ein fröhlich Leben im Wald,
das Volk erfüllet die Räume;
die nie mit Tränen ein Reis gepflanzt,
die fällen am frohsten die Bäume.
Der eine kauft ein bescheidnes Gewächs
Zu überreichen Geschenken,
der andre einen gewaltigen Strauch,
drei Nüsse daran zu henken.
Dort feilscht um ein winziges Kieferlein
ein Weib mit scharfen Waffen,
der dünne Silberling soll zugleich
den Baum und die Früchte verschaffen.
Mit rosiger Nase schleppt der Lakai
die schwere Tanne von hinnen;
das Zöfchen trägt ein Leiterchen nach,
zu ersteigen die grünen Zinnen.
Und kommt die Nacht, so singt der Wald
und wiegt sich im Gaslichtscheine;
bang führt die ärmste Mutter ihr Kind
vorüber dem Zauberscheine.
Gottfried Keller
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